Montag, 15. Oktober 2007

M. Biller

Ich erlaube mir jetzt und in Zukunft, rein aus Zeitvertreib, oder auch ohne bestimmten Grund, ein paar Kurzgeschichten aus Maxim Biller's "Moralische Geschichten" für Euch auf den Blog hochzutippen. Viel Spass.

Spielberg

Der Amerikaner, neben dem der erfolglose Drehbuchautor Kamensky im Flugzeug von Tel Aviv nach Frankfurt sass, war nicht Steven Spielberg, obwohl er sich als Steven Spielberg vorgestellt hatte. Kamensky bemerkte das sehr schnell: Zuerst wollte sein bärtiger Sitznachbar nichts von Kamenskys Drehbuch wissen, das im Frankfurt des 22. Jahrhunderts spielte und eine Art futuristisches Ritualmord-Burleske war, wie Kamenskys selbst es nannte. Dann weigerte er sich, zumindest Kamenskys Tante Lola aus Holon für sein weltbekanntes Holocaust-Videoprojekt zu interviewen. Und spätestens, als er es ablehnte, Kamensky bis Ende nächster Woche vierhundert Dollar zu leihen, wusste Kamensky Bescheid. Trotzdem unterhielt sich Kamensky weiter mit ihm, und nachdem sie gelandet waren, fragte er, ob er die Kekse aus seiner Snacktüte haben dürfe. „Ja“, sagte der falsche Spielberg auf amerikanisch und sah Kamensky mitleidig an, „wir Juden müssen uns doch gegenseitig helfen“. Später, in der S-Bahn nach Hause, überlegte Kamensky noch lange, ob der falsche Spielberg nicht vielleicht doch der richtige war, denn schliesslich war der richtige ja auch irgendwie der falsche. Jedenfalls hatte Kamensky noch nie einen solchen verlogenen, unrealistischen Scheissdreck wie „Schindlers Liste“ gesehen, einen Film, in dem die Nazis gross und stark waren, die Juden aber so hilflos und grau wie Flöhe.

Maxim Biller

Tippsekretärin Pierrete Légèrine

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